
Bild: Während der Urteilsverkündung des BVG in Karlsruhe. Einige Vertreter:innen eines majoritär-elektoral verkürzten Demokratieverständnisses halten die Bindung der Politik an EU-, Menschen- oder Verfassungsrecht für undemokratisch. Foto vom 18.7. 2012 (IMAGO / Stockhoff)
Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“. Was seinerzeit einen Skandal verursachte, der Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu der Klarstellung veranlasste, dass die Europäische Menschenrechtskonvention zum Grundkonsens der Zweiten Republik zähle, scheint heute im politischen Zentrum angekommen zu sein. Das zeigte sich etwa an einem im Mai von der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und ihrer italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni initiierten und von sieben weiteren EU-Regierungschefs unterzeichneten Papier, das – teils mit denselben Worten wie Kickl – die Zeitgemäßheit der Menschenrechtskonvention und deren Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte infrage stellt.
Die Normalisierung von Forderungen, die noch vor kurzem klar als autoritär und rechtsextrem skandalisierbar waren, wird inzwischen durch eine Publizistik untermauert, die immer enthemmter die Idee der liberalen Demokratie und mit ihr die Bindung von Politik an höherrangiges Menschen- und Verfassungsrecht sowie die es interpretierenden Gerichte zurückweist.